William Shakespeare

„Um sich von dem Mangel an Geschmack zu überzeugen, der bis auf diesen Tag in Deutschland herrscht, brauchen Sie nur ins Schauspiel zu gehen. Da sehen Sie die abscheulichen Stücke von Shakespeare in deutscher Sprache aufführen, sehen alle Zuhörer vor Wonne hinschmelzen beim Anhören dieser lächerlichen Farcen, die eines kanadischen Wilden würdig sind. Ich nenne sie so, weil sie gegen alle Regeln des Theaters verstoßen. Diese Regeln sind nicht willkürlich. Sie finden sie in der Poetik des Aristoteles. Dort sind Einheit der Zeit, des Ortes und der Handlung als die einzigen Mittel vorgeschrieben, ein Trauerspiel packend zu machen. In den englischen Stücken dagegen umspannt die Handlung den Zeitraum von Jahren. Wo bleibt da die Wahrscheinlichkeit? Da treten Lastträger und Totengräber auf und halten Reden, die ihrer würdig sind; dann kommen Fürsten und Königinnen. Wie kann dies wunderliche Gemisch von Hohem und Niedrigem, von Hanswurstereien und Tragik gefallen und rühren?“

So urteilt zwar unser alter Preußenkönig Friedrich der Große über die Stücke Shakespeares, aber dieser sich trotzdem zu unserem dritten deutschen Klassiker gemausert hat, wollen wir seinen heutigen Geburtstags im Jahre 1564 nicht ungefeiert lassen. Und wer weiß: Womöglich sagt das unser alter Fritz auch nur, weil er befürchtet, daß ihm sein Herr Vater, der Soldatenkönig, die Standpauke des englischen Königs Heinrichs IV. an seinen Sohn im Ersten Teil des gleichnamigen Stückes halten könnte… http://www.zeno.org/Literatur/M/Shakespeare,+William/Historien/K%C3%B6nig+Heinrich+IV.+Erster+Teil

„KÖNIG HEINRICH.

Laßt uns, ihr Fürsten! Der Prinz von Wales und ich,

Wir müssen uns geheim besprechen; doch

Seid nah zur Hand, wir werden euch bedürfen.

Ich weiß nicht, ob es Gott so haben will

Für mißgefäll’ge Dienste, die ich tat,

Daß sein verborgner Rat aus meinem Blut

Mir Züchtigung und eine Geißel zeugt.

Doch du, in deinen Lebensbahnen, machst

Mich glauben, daß du nur gezeichnet bist

Zur heißen Rach‘ und zu des Himmels Rute

Für meine Übertretung. Sag mir sonst,

Wie könnten solche wilde, niedre Lüste,

Solch armes, nacktes, liederliches Tun,

So seichte Freuden, ein so roher Kreis

Als der, womit du dich verbrüdert hast,

Sich zu der Hoheit deines Bluts gesellen

Und sich erheben an dein fürstlich Herz?

PRINZ HEINRICH.

Geruh‘ Eu’r Majestät: ich wollt‘, ich könnte

Von jedem Fehl so völlig los mich sagen,

Als ich mich ohne Zweifel rein’gen kann

Von vielen, die mir schuld gegeben werden.

Doch so viel Milderung laßt mich erbitten,

Daß, nach erlogner Märchen Widerlegung,

Die oft das Ohr der Hoheit hören muß

Von Liebedienern und gemeinen Klätschern,

Mir etwas Wahres, wo mich meine Jugend

Verkehrt geleitet und unregelmäßig,

Auf wahre Unterwerfung sei verziehn.

KÖNIG HEINRICH.

Verzeih‘ dir Gott! – Doch muß mich’s wundern, Heinrich,

Daß deine Neigung so die Schwingen richtet,

Ganz abgelenkt von deiner Ahnen Flug.

Dein Platz im Rat ward gröblich eingebüßt,

Den nun dein jüngrer Bruder eingenommen;

Du bist beinah‘ ein Fremdling in den Herzen

Des ganzen Hofs, der Prinzen vom Geblüt.

Die Hoffnung und Erwartung deiner Zeit

Ist ganz dahin, und jedes Menschen Seele

Sagt sich prophetisch deinen Fall voraus.

Hätt‘ ich so meine Gegenwart vergeudet,

So mich den Augen aller ausgeboten,

So dem gemeinen Umgang gäng und feil:

So wär‘ die Meinung, die zum Thron mir half,

Stets dem Besitze untertan geblieben

Und hätte mich in dunkelm Bann gelassen

Als einen, der nichts gilt und nichts verspricht.

Doch, selten nur gesehn, ging ich nun aus,

So ward ich angestaunt, wie ein Komet,

Daß sie den Kindern sagten: „Das ist er“;

Und andre: „Welcher? Wo ist Bolingbroke?“

Dann stahl ich alle Freundlichkeit vom Himmel

Und kleidete in solche Demut mich,

Daß ich Ergebenheit aus aller Herzen,

Aus ihrem Munde Gruß und Jauchzen zog,

Selbst in dem Beisein des gekrönten Königs.

So hielt ich die Person mir frisch und neu;

Mein Beisein, wie ein Hohepriesterkleid,

Ward staunend nur gesehn, und so erschien

Selten, doch kostbar, wie ein Fest, mein Aufzug;

Das Ungewohnte gab ihm Fei’rlichkeit.

Der flinke König hüpfte auf und ab

Mit seichten Spaßern und mit stroh’rnen Köpfen.

Leicht lodernd, leicht verbrannt; vertat die Würde,

Vermengte seinen Hof mit Possenreißern,

Ließ ihren Spott entweihen seinen Namen

Und lieh sein Ansehn, wider seinen Ruf,

Schalksbuben zu belachen, jedem Ausfall

Unbärt’ger, eitler Necker bloß zu stehn;

Ward ein Gesell der öffentlichen Gassen,

Gab der Gemeinheit selber sich zu Lehn;

Daß, da die Augen täglich in ihm schwelgten,

Von Honig übersättigt, sie zu ekeln

Der süße Schmack begann, wovon ein wenig

Mehr als ein wenig viel zu viel schon ist.

Wenn dann der Anlaß kam, gesehn zu werden,

War er so wie der Kuckuck nur im Juni,

Gehört, doch nicht bemerkt; gesehn mit Augen,

Die, matt und stumpf von der Gewöhnlichkeit,

Kein außerordentlich Betrachten kennen,

Wie’s sonnengleiche Majestät umgibt,

Strahlt sie nur selten den erstaunten Augen;

Sie schläferten, die Augenlider hängend,

Ihm ins Gesicht vielmehr und gaben Blicke,

Wie ein verdroßner Mann dem Gegner pflegt,

Von seinem Beisein überfüllt und satt.

Und in demselben Rang, Heinrich, stehst du,

Da du dein fürstlich Vorrecht eingebüßt

Durch niedrigen Verkehr: kein Auge gibt’s,

Dem nicht dein Anblick Überdruß erregt,

Als meins, das mehr begehrt hat, dich zu sehn,

Das nun tut, was ich gern ihm wehren möchte,

Und blind sich macht aus tör’ger Zärtlichkeit.

PRINZ HEINRICH.

Ich werd‘ hinfort, mein gnädigster Gebieter,

Mehr sein, was mir geziemt.

KÖNIG HEINRICH.

Um alle Welt!

Was du zu dieser Zeit, war Richard damals,

Als ich aus Frankreich kam nach Ravenspurg,

Und grade, was ich war, ist Percy jetzt.

Bei meinem Szepter nun und meiner Seele!

Er hat viel höhern Anspruch an den Staat

Als du, der Schatten nur der Erblichkeit.

Denn, ohne Recht noch Anschein eines Rechtes,

Füllt er mit Kriegszeug in dem Reich das Feld,

Beut Trotz dem Rachen des ergrimmten Löwen

Und führt, nicht mehr als du dem Alter schuldig,

Bejahrte Fürsten und würd’ge Bischöf‘ an

Zu blut’gen Schlachten und Geklirr der Waffen.

Welch nie verblüh’nden Ruhm erwarb er nicht

An dem gepriesnen Douglas, dessen Taten,

Des rasche Züge, großer Nam‘ in Waffen

Die Oberstelle sämtlichen Soldaten

Und höchste kriegerische Würd‘ entzieht

In jedem Königreich der Christenheit.

Dreimal schlug Heißsporn, dieser Mars in Windeln,

Dies Heldenkind, in seinen Unternehmen

Den großen Douglas; nahm ein mal ihn gefangen,

Gab dann ihn los und macht‘ ihn sich zum Freund,

Um so der alten Fehde Kluft zu füllen

Und unsers Throns Grundfesten zu erschüttern.

Was sagt Ihr nun hiezu? Percy, Northumberland,

Der Erzbischof von York, Douglas, Mortimer

Sind wider uns verbündet und in Wehr.

Doch warum sag‘ ich diese Zeitung dir?

Was sag‘ ich, Heinrich, dir von unsern Feinden,

Da du mein nächst- und schlimmster Gegner bist,

Der, allem Anschein nach, aus knecht’scher Furcht,

Aus einem schnöden Hang und jähen Launen

In Percys Solde wider mich wird fechten,

Ihm nachziehn und vor seinen Runzeln kriechen,

Zu zeigen, wie du ausgeartet bist!

PRINZ HEINRICH.

Nein, denkt das nicht, Ihr sollt es nicht so finden:

Verzeih‘ Gott denen, die mir so entwandt

Die gute Meinung Eurer Majestät!

Ich will auf Percys Haupt dies alles lösen

Und einst, an des glorreichsten Tages Schluß,

Euch kühnlich sagen, ich sei Euer Sohn,

Wann ich ein Kleid, von Blut ganz, tragen werde

Und mein Gesicht mit blut’ger Larve färben,

Die, weggewaschen, mit sich nimmt die Scham.

Das soll der Tag sein, wann er auch mag scheinen,

Daß dieses Kind der Ehren und des Ruhms,

Der wackre Heißsporn, der gepriesne Ritter,

Und Eu’r vergeßner Heinrich sich begegnen.

Daß jede Ehr‘, auf seinem Helme prangend,

Doch Legion wär‘, und auf meinem Haupt

Die Schmach verdoppelt! Denn es kommt die Zeit,

Da dieser nord’sche Jüngling seinen Ruhm

Mir tauschen muß für meine Schmählichkeiten.

Percy ist mein Verwalter, bester Herr,

Der glorreich handelt zum Erwerb für mich:

Ich will so streng zur Rechenschaft ihn ziehn,

Daß er mir jeden Ruhm heraus soll geben,

Selbst den geringsten Vorrang seiner Jahre,

Sonst reiß‘ ich ihm die Rechnung aus dem Herzen.

Dies sag ich hier im Namen Gottes zu,

Was, wenn es ihm beliebt, daß ich’s vollbringe,

Bitt‘ ich Eu’r Majestät, den alten Schaden

Von meinen Ausschweifungen heilen mag;

Wo nicht, so tilget alle Schuld der Tod,

Und hunderttausend Tode will ich sterben,

Eh‘ ich von diesem Schwur das kleinste breche.

KÖNIG HEINRICH.

Dies tötet Hunderttausende Rebellen;

Du sollst hiebei Befehl und Vollmacht haben.“

[Unser alter Fritz hat sich als Preußenkönig später übrigens ähnlich wacker gemausert wie Heinrich V. von England…]

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